Samstag, Oktober 28, 2006

Meine Geschichte als Computer- und Videospieler - Teil 4

Seit kurzem hatten wir also einen Pentium mit 450 MHz im Haus, einen High-End-Rechner! Unser erstes Spiel darauf war übrigens Need for Speed III: Hot Pursuit (siehe links), was grafisch natürlich extrem beeindruckend war, wenn man bedenkt, dass wir bis dahin nur einen 486er mit 33 MHz gehabt hatten, der schon seit Jahren hoffnungslos veraltet gewesen war.

Außer Dungeon Master hatte ich noch nie ein richtiges Computer-Rollenspiel gespielt, also noch nie eines, das in einer richtigen Fantasywelt spielt, mit Quests und so weiter, nicht bloß in einem Dungeon. Da ich mich ja so für Handlungsfreiheit begeistern konnte, hatte ich stets einen alten Power Play-Artikel über Ultima V im Kopf (das selbstverständlich nicht mehr erhältich war, auch die Ultima Collection fand sich nirgends), der mich in der Hinsicht beeindruckt hatte. Jetzt kam nach längerer Zeit wieder einmal ein klassisches, wunderschönes Fantasy-Rollenspiel heraus, das von der Fachpresse durchgehend gut bewertet wurde; es hieß Baldur’s Gate. Ich besorgte mir also diesen Titel, war aber bald ziemlich enttäuscht. Zu wenig lebendig schien mir die Welt, zu linear und eingeschränkt das Gameplay. Immerhin stütze ich mich noch immer auf den Artikel über Ultima V, und darin hatte nun einmal jeder NPC einen eigenen Tagesablauf und so weiter. Ich war überrascht, dass etliche derartige Features in einem Titel, der immerhin gut zehn Jahre später erschienen war, fehlten. (Ich sollte später sowohl an die Ultima-Spiele kommen, als auch Baldur’s Gate zu schätzen lernen – kein Grund also zur Beunruhigung.)

Anfang 2000 bekam auch ich einen Computer in mein Zimmer, einen Pentium 500. Bei dessen Grafikkarte war der Ego-Shooter Turok 2 dabei, was mich sehr freute. Richtig gespielt habe ich es aber nie; es gab nämlich einen Cheat, mit dem man den gesamten Level verdunkeln konnte, so dass er wirkte, als würde er in stockfinsterer Nacht spielen, mit dem Flammenwerfer in der Hand als einziger Lichtquelle (siehe rechts). Ich fand das ungeheuer atmosphärisch (am schönsten war es, wenn etwas in bunten Farben explodierte), und spielte dann meistens ein und denselben Level immer wieder mit diesem Cheat, während ich dazu Musik hörte. Ein bißchen krank, ich weiß, aber immehin bin ich somit heute wohl der einzige Mensch auf der Welt, der wenn er einen Song von den Corrs hört an brennende Dinosaurier denken muss.

Mein Lieblingsspiel zu der Zeit war aber Die Sims. Es war in seiner Art völlig neu und machte absolut süchtig. Nicht nur ich, sondern meine gesamte Familie war davon betroffen, was ungünstig war, da wir vier Leute waren, aber nur zwei Computer hatten.

In der Schule war Computerspiel-mäßig ebenfalls eine tolle Zeit angebrochen, da wir ab Schuljahresbeginn über einen Klassen-PC verfügten. Zuerst war eine BASIC-Version von Bomberman das Spiel der Stunde. Als Multiplayer-Titel ja sowieso erwiesenermaßen einer der spaßigsten Titel aller Zeiten, hatte es zusätzlich den Vorteil, dass es nicht nur zu zweit, sondern zu viert an einem PC spielbar war. Es wurde erst abgelöst, als ein anderer Klassenkollege das Freeware-Spiel Liero (siehe links) mitbrachte – eine Art Worms in Echtzeit und eines der besten Beispiele dafür, wie ein extrem simples Spielprinzip für tonnenweise Spielspaß sorgen kann; es war schon toll, nur zuzusehen. So bildeten die Burschen der Klasse (manchmal auch ein oder zwei „coole“ Mädchen) Pause für Pause eine Traube um den PC, und nicht selten blieben einzelne sogar freiwillig länger in der Schule, nur um ihre Revanche zu erhalten.

To be concluded...

Donnerstag, Oktober 26, 2006

Meine Geschichte als Computer- und Videospieler - Teil 3

In der Schule hatte ich einen Freund, mit dem mich verband, dass wir beide hoffnungslos veraltete Computer zu Hause stehen hatten. Während Pentium-Prozessoren von 133 bis 200 MHz zum Standard wurden, hatte ich einen 486er und er (noch schlimmer) einen Amiga 600. Doch wir begeisterten uns für unser Spiele-Hobby. Ich lernte durch ihn Spiele wie Deja Vu kennen (ein Adventure, bei dem mich vor allem die Handlungsfreiheit beeindruckte – ich kannte bis dahin kein Spiel, in dem man sich selbst K.O. schlagen kann!) oder North and South und Worms, die natürlich vor allem zu zweit großen Spaß machen; außerdem diverse Werbe-Adventures wie Telekommando 2, in dem man einen Techniker der Telekom spielt. Es zeigt sich, wie beliebt Point&Click-Adventures in der ersten Hälfte der Neunziger waren, wenn man an diese kuriosen Werbespiele denkt. Unter anderem gab es etwa ein Bifi-Adventure und auch die Bank Austria hatte ein Spiel namens Arnie Goes 4 Gold veröffentlicht. Ganz zu schweigen von Titeln diverser Ministerien wie Das Erbe vom Deutschen Umweltbundesamt.

Wenn es in der Schule zur Pause klingelte, sprangen ich und mein Freund von unseren Plätzen auf und rannten in die Schulbibliothek. Das klingt jetzt unglaublich, erklärt sich aber dadurch, dass in der Bibliothek ein PC stand (ein 386er). Dort spielten wir unter anderem Lemmings, Duke Nukem 2 und alte LucasArts-Adventures – dass wir im Jahr 1997 lebten, also im beginnenden Zeitalter der 3D-Grafikkarten, ging uns am Allerwertesten vorbei – wir waren glücklich in unserer Welt. Bald entdeckten wir im Informatikbereich der Bibliothek, wo auch der Computer stand, ein Buch, das einfach und anschaulich, mit Zeichnungen und Bildern, Jugendlichen die Grundlagen von BASIC vermitteln wollte. Wir gingen es zusammen durch und waren bald in der Lage, selbst kleine Text-Adventures zu schreiben, die wir uns dann gegenseitig vorführten.

Eines Tages steckte mich der 3D-
Wurm dann aber doch an. Nachdem mich das durch Doom populär gewordene Konzept von Spielen in der Ego-Perspektive bereits ziemlich fasziniert hatte, geriet ich eines Tages durch Besuch bei einem Freund in Kontakt mit Jedi Knight (Bild rechts). Als Star Wars-Fan sowieso vorbelastet, war ich von dem Spiel hin und weg – soetwas hatte ich noch nie gesehen. Ab jetzt hatte ich eine Mission. Ich wusste, dass wir zu Hause irgendwann einen neuen PC bekommen würden, und bis dahin musste ich meine Eltern soweit gebracht haben, dass sie mir dieses Spiel erlaubten. Sie waren nämlich in der Hinsicht sehr streng – schon um die Weltraum-Shooter Rebel Assault und X-Wing hatte ich regelrecht kämpfen müssen; diese spielten ebenfalls beide im Star Wars-Universum – aus der Sicht meiner Eltern nahm man also mit diesen Spielen aktiv an einem Krieg teil. Nichtsdestotrotz, ich konnte sie von der Harmlosigkeit beider Titel überzeugen. Bei Jedi Knight würde es aber schwieriger werden; meine Eltern lehnten Ego-Shooter aufgrund ihres Spielprinzips und der damit verbundenen Gewaltdarstellung pauschal ab, und zu allem Überfluss trug Jedi Knight einen Empfohlen ab 18-Sticker der USK - und ich war immerhin erst 14! Es kostete also viel Mühe, aber es gelang: Als wir einen neuen PC mit 450 MHz bekamen, rannte ich zum Software Dschungel und kaufte mir Jedi Knight. Und wie man heute bemerkt, bin ich ein grundanständiger Bürger geworden und habe keinen psychischen Schaden davongetragen (abgesehen von der Sache mit den Prostituierten, die ich hin und wieder verstümmle, aufschlitze und anschließend verspeise).

To be continued...

Dienstag, Oktober 24, 2006

Meine Geschichte als Computer- und Videospieler - Teil 2

Weihnachten 1991 bekamen wir ein Sega Mega Drive, damals das Non-Plus-Ultra auf dem Konsolenmarkt. Unsere erste Spiele darauf: John Madden’s NFL American Football und NHLPA Hockey (beide frühe Titel der EA Sports-Reihen, die noch heute existieren), aber vor allem Sonic the Hedgehog (Bild rechts oben). Das Jump&Run mit dem blauen Igel in der Hauptrolle war der Anstoß für ein jahrelanges fanatisches Suchtverhalten gegenüber allem, was mit Sonic zu tun hatte. Noch heute kann ich mich genau erinnern, wie ich Sonic 2 zum Geburtstag bekommen habe. Wie ich mir Sonic 3 mit hart erspartem Geld gekauft habe. Und wie ich ausflippte, als ich eines Tages zu Weihnachten Sonic&Knuckles aus dem Geschenkkarton ans Licht hob. Ich nahm mir die Musik aus den Levels auf Kassette auf und hörte sie zum Einschlafen. Ich war manisch.

Das war wohl auch der Grund, warum mir meine Eltern einen Game Boy verweigerten. In der Schule hatte jeder einen verdammten Game Boy, und wenn ich bei einem Freund eingeladen war, war es für mich das größte, einen Level Super Mario Land zu spielen. Aber das einzige, was sich Handheld-mäßig bei mir tat, war, dass mir einer dieser Freunde einmal eine oder zwei Wochen seinen Game Gear borgte, was großartig war – immerhin war es das Konkurrenzprodukt von Sega und hatte sogar einen selbständig leuchtenden Farbbildschirm, was beim Game Boy noch über zehn Jahre lang auf sich warten lassen würde...! Die Game Gear-Version von Sonic the Hedgehog spielte ich natürlich wie besessen auf einen Schlag durch (aber sie ist ja auch nicht so lang).

Das nächste Kapitel wurde eröffnet, als sich mein Großvater einen 486er zulegte. In der Zwischenzeit hatte sich der IMB-PC gegenüber Atari, Amiga und C64 endgültig durchgesetzt. Zu diesem Anlass (oder auch zu Geburtstag oder zu Weihnachten) bekam der Großvater von meinen Eltern Indiana Jones and the Fate of Atlantis geschenkt, mit der Begründung, dass es „zur Zeit einfach das beste Spiel“ sei (es gewann knapp gegen Der Patrizier). Die Besuche bei meinen Großeltern wurden damit zu Pilgerfahrten. Der gewaltige Eindruck, den dieses Spiel auf mich machte, ist kaum zu beschreiben. Das gleiche bei Day of the Tentacle (Bild links), das mein Vater eines Tages kaufte und bei meinem Großvater installierte. Was man sich heute nicht mehr vorstellen kann: Die Begeisterung darüber, dass dieses Spiel über SPRACHAUSGABE verfügte! Spätestens jetzt stand fest: LucasArts ist meine Religion.

Eines Tages kaufte sich mein Großvater einen neuen PC (Pentium 166), und wir bekamen den 486er. Er war schon damals veraltet, aber es war unsere erste IBM-Maschine. Und irgendwann brachte mein Vater die 10 Adventures-Compilation von LucasArts nach Hause. Ab da ging es rund: Monkey Island, Zak McKracken, Loom, Sam and Max – alles wurde gnadenlos verschlungen, leider – wie auch schon Fate of Atlantis und Day of the Tentacle – stets mit viel zu schnellem Griff zur Komplettlösung. Was gäbe ich heute darum, mir diesen Teil des Gedächtnisses löschen zu lassen, und all diese Abenteuer noch einmal zu erleben...

To be continued...

Montag, Oktober 23, 2006

Meine Geschichte als Computer- und Videospieler - Teil 1

Jawohl, ich sitze gern vor Bildschirmen und spiele. Seit meiner Kindheit ist meine Faszination für diese Art von Unterhaltung ungebrochen. Und ja, ich glaube daran, dass daraus mal sowas wie eine Kunstform werden kann. Teilweise ist sie das sogar schon. Aber darum soll es hier jetzt nicht gehen; gehen soll es um meine ganz persönliche Geschichte als Computer- und Videospieler. Nur ein relativ kurzes Erinnern mit den wichtigsten Highlights. Mit anderen Medien wie Film wäre das für mich nahezu unmöglich, aber bei Computer- und Videospielen ist das dank der damit einhergehenden technischen Entwicklung, die so ungeheuer schnell voranschreitet, ziemlich spaßig.

Ich bin mir nicht sicher, womit es begonnen hat. Entweder war es das Sega Master System oder der Atari ST. Das waren die Geräte, die meine Eltern besaßen, und beide übten schon in meiner frühen Kindheit eine starke Anziehungskraft auf mich aus. Ältere Generationen werden es nicht verstehen, aber es war einfach ungeheuer aufregend, diese Abenteuer, die man da am Bildschirm erleben konnte. Selbst erleben, nicht einfach anderen dabei zusehen wie im Fernsehen. Keine Ahnung, welches das erste Spiel war, bei dem ich einen Joystick in der Hand hielt. Aber ich erinnere mich sehr gut an die einzelnen Titel, immerhin habe ich sie auch Jahre später immer wieder gespielt. Am Master System waren es vor allem Action-Spiele wie The Ninja, Shinobi, Quartet und Fantasy Zone 2 (Bild links); Sportspiele nahmen schon damals eine eher sekundäre Rolle für mich ein, auch wenn ich etwa Out Run durchaus gerne mochte (aber das ist ja auch ein wahrer Kult-Klassiker; welcher Spiele-Freak, der in den 80ern aufgewachsen ist, kennt nicht die Ohrwürmer Passing Breeze, Splash Wave und Magical Sound Shower...?).

Auf dem Atari gab es neben unbekannteren Titeln wie Pink Panther, Hostages und dem ultra-gruseligen Grafik-Adventure Chono Quest (ich habe es seit Jahren nicht mehr gespielt, aber die musikalische Hauptthema werde ich wohl nie vergessen) Monumente wie Winter Games, Dungeon Master, Populous, Starglider 2, Formula One Grand Prix, Railroad Tycoon und – am wichtigsten – Indiana Jones and the Last Crusade (Bild rechts). Letzteres ist als mein erstes LucasArts-Adventure (damals hieß es noch Lucasfilm Games) eines der wichtigsten und am meisten mit Sentimentalitäten verbundene Spiel meiner Gamer-Karriere. Es hinterließ großen Eindruck bei mir, und als mir meine Eltern eines Tages endlich erlaubten, den dazugehörigen Film zu sehen, war das wie Weihnachten und Ostern an einem Tag (das gehört aber nicht hierher). Den zweiten Platz in dieser Hinsicht nimmt wohl Dungeon Master ein, auch wenn ich noch etwas älter werden musste, um nicht bei jeder Mumie Angstausbrüche zu bekommen. Populous (von dem ich eine Brettspielvariante bastelte), Railroad Tycoon und Winter Games liebte ich ebenfalls, Starglider 2 (Bild links) fand ich zwar irgendwie toll, hab aber nie auch nur ansatzweise verstanden, um was es da eigentlich geht (auch die Anleitung war in englischer Sprache und somit nutzlos für mich); so bin ich halt einfach von Planet zu Planet geflogen, genoß die traumartige Atmosphäre, schoß ein paar Weltraumpiraten ab und ließ mich von der Sonne einschmelzen, was einen coolen grafischen Effekt ergab. Hostage habe ich nur heimlich gespielt (ein "realistisches" Anti-Terror-Spiel; meine Eltern verboten es mir), und bei Formula One Grand Prix hatte ich am meisten Spaß damit, als Geisterfahrer spektakuläre Crashs zu erzeugen und mir diese dann in der Wiederholung aus verschiedensten Kameraperspektiven anzusehen.

To be continued...

Donnerstag, Oktober 05, 2006

Bücher-Sommer 2006


Wie wenig du gelesen hast, wie wenig du kennst - aber vom Zufall des Gelesenen hängt es ab, was du bist.
- Elias Canetti

Die Uni hat wieder begonnen; es ist Zeit den Lese-Sommer Revue passieren zu lassen. Viel war es nicht, aber es hat sich alles gelohnt, wie ich finde. Sachbücher, Comics und Kurzgeschichten lass ich jetzt mal außen vor, übrig bleiben sieben Romane und ein Drama.


Thomas Bernhard: Frost

Eigentlich wollte ich im Sommer ja mehr lesen, aber dann habe ich überraschenderweise sehr lange gebraucht, um mich durch dieses erste Buch zu kämpfen, was meine Pläne so gut wie über den Haufen geworfen hat. Nicht dass Bernhards erster Roman schlecht wäre - er ist nur anstrengend und dabei nicht gerade aufregend.

Ein junger Medizinstudent wird von einem Kollegen in die Provinz geschickt, um dessen Bruder - den exzentrischen alten Maler Strauch - zu beobachten. So pirscht sich der Protagonist an den Sonderling heran und es entsteht so etwas wie eine Freundschaft, die vorwiegend daraus besteht, dass der Maler lange nihilistische Monologe hält, die man auch gut als Aphorismensammlung für Selbstmörder verkaufen hätte können. Mit der Zeit stellt der Protagonist mit einer Mischung aus Angst und Faszination fest, dass ihn das Ausgeliefertsein an die verbitterte Weltsicht des Malers zusammen mit der morbiden Atmosphäre des Dorfes auch selbst zu verändern beginnt.

Der Roman zählt auf jeden Fall zum deprimierendsten, die ich je gelesen habe. Mit welch negativer Wucht hier das Portrait des in einem Tal eingeschlossenen österreichischen Provinzdorfes und seiner Bevölkerung entworfen wird, ist wirklich beeindruckend. Das ganze Buch hindurch herrscht eine geradezu unmenschliche Kälte, sowohl in meteorologischem, als auch in jedem anderen erdenklichen Sinn. Trotzdem: Ich konnte einfach keinen Zugang finden; besonders die Gedankengänge des Malers waren für mich einfach nicht nachvollziehbar, so sehr ich mich auch bemüht habe. Aus meiner Sicht ist es - überspitzt ausgedrückt - einfach das sinnlose Gebrabbel eines Geisteskranken. Eine Zeit lang habe ich überlegt, einen Maler Strauch-Simulator zu programmieren, der per Zufallsprinzip Worte und Satzfetzen so aneinanderreiht, das man glaubt, eine Stelle aus Frost vor sich zu haben. Vielleicht mach ich das eines Tages noch mal.


Ian Fleming: Casino Royale

Ich war eigentlich nie ein großer James Bond-Fan (die meisten Filme finde ich über weite Strecken langweilig), aber auf den neuen Film bin ich doch irgendwie gespannt, schließlich stellt er meinen ersten bewusst miterlebten Bond-Darsteller-Wechsel dar. Da man sich wieder einmal bei einem Fleming-Roman bedient hat, habe ich entschlossen ihn zu lesen, um beim Film besser mitreden (sprich: klugscheißen) zu können. Endlich weiß ich jetzt was die Fans meinen, wenn sie sich einen "härteren, zynischeren Bond wie in den Büchern" wünschen. Dass Bond in Flemings Casino Royale ein Mensch ist und kein Comic-Superheld war wohl die größte Umstellung für mich. Die relativ simple Handlung besteht grob gesagt aus drei Akten, von denen sich jeder ein bisschen anders anfühlt. Der erste, in dem Bond einen feindlichen Agenten beim Bakkarat abzocken muss, ist hierbei der beste und spannendste. Ohne zuviel weiteres zu verraten: Der zweite ist dann fast schon erschreckend düster und hart, während der dritte ruhig und meditativ ist. Insgesamt würde ich sagen, dass Casino Royale ganz okay ist, aber da ich mir eigentlich eine spaßige Agentengeschichte erwartet hatte, hat mich der zynische Tonfall dann doch etwas geschockt.


William Shakespeare: Hamlet

Natürlich kennt jeder Hamlet und weiß in etwa worum es darin geht, aber ich wollte es einmal wirklich lesen. Und wurde überrascht. Über seine Bedeutung und Vielschichtigkeit brauchen wir nicht zu diskutieren, aber das Drama um den dänischen Prinzen ist noch dazu verdammt spannend und unterhaltsam. Was lernen wir daraus: Man sollte sich vom Respekt vor großen Werken der Weltliteratur nicht auffressen lassen, sonst kann einem ein tolles Lesevergnügen entgehen. Das trifft übrigens auch auf Faust I. zu. Ehrlich.


Franz Kafka: Der Prozess

Also Kafka mag ja nun wirklich jeder. Mainstream. Aber der Mann ist eben einfach gut. Auf der einen Seite diese verstörenden menschlichen Urängste, auf der anderen Seite dieses moderne Gefühl der Entfremdung in einer durchbürokratisierten Gesellschaft... Ich habe viele Lieblingsstellen im Prozess, die ich hier liebend gerne nacherzählen oder beschreiben würde, doch ist das leider so gut wie unmöglich. Aber Kafka kennt und liebt ja wie gesagt sowieso jeder, also weiter zum nächsten Büchlein.


Paul Auster: Die New York-Trilogie

Das sind jetzt eigentlich drei kurze Romane, nämlich Stadt aus Glas (City of Glass), Schlagschatten (Ghosts) und Hinter verschlossenen Türen (The Locked Room). Ich habe mir vorgenommen diese Trilogie zu lesen nachdem ich Austers Filmprojekte Smoke und Blue in the Face gesehen hatte. Diesen Sommer habe ich das Vorhaben nun verwirklicht und wurde mit einem interessanten, auf jeden Fall außergewöhnlichen Leseerlebnis belohnt. Den ersten Teil der Trilogie, Stadt aus Glas, kann ich auf jeden Fall bedingunglos weiterempfehlen. Im Mittelpunkt steht der Schriftsteller Daniel Quinn, der in einen höchst sonderbaren Kriminalfall und dabei in eine Art Identitätskrise gerät, von der keine der Figuren im Roman (und darüber hinaus) verschont bleibt. Es entsteht ein komplexes Netzwerk aus falschen Identitäten, Alter Egos und vermeindlich zufälligen Parallelen und Spiegelbildern, so dass jedes Individuum mehrere Ebenen bekommt, die sich wiederum untereinander überschneiden... Verwirrt? Keine Sorge, das ist keines der etlichen Bücher, dass den Leser mit zig Nebenfiguren samt ihren komplizierten Verwicklungen zumüllt, so dass man irgendwann völlig entnervt das Handtuch wirft. Auster baut die Geschichte sehr sauber und durchdacht auf - statt den Leser mit hemmunglosem Informationüberfluss zu überfordern, liefert er Ansätze und Doppelbödigkeiten, die ihm Raum lassen und ihn zum Nachdenken anregen. Gefiel mir sehr gut. Schlagschatten und Hinter verschlossenen Türen sind auch nicht schlecht, allerdings habe ich sie nicht mehr mit demselben Vergnügen gelesen wie Stadt aus Glas, an dessen Gewitztheit und Komplexität sie meiner Meinung nach nicht herankommen.


Thomas Bernhard: Auslöschung. Ein Zerfall

Nach dem äußerst anstrengenden Frost hatte ich ja eigentlich erstmal genug von Bernhard und ihn für diesen Sommer abgeschrieben gehabt. Aber dann stolperte ich eines Abends durch Zufall in das Kulturprogramm von ORF 2.

Mit dem Kulturprogramm im ORF ist es ein bisschen wie am Anfang von Per Anhalter durch die Galaxis, als Arthur Dent eines Morgens aufwacht und ein Bulldozer sein Haus abreißen will. Er protestiert, aber Prosser, der Fahrer des Bulldozers, argumentiert, dass die Pläne für den Abriss die letzten neun Monate im Planungsbüro ausgelegen wären:

Prosser: "Aber die Pläne lagen aus..."
Arthur: "Lagen aus? Ich musste schließlich erst in den Keller runter..."
Prosser: "Da werden sie immer ausgehängt."
Arthur: "Mit einer Taschenlampe."
Prosser: "Tja, das Licht war wohl kaputt."
Arthur: "Die Treppe auch."
Prosser: "Aber die Bekanntmachung haben Sie doch gefunden, oder?"
Arthur: "Jaja, das habe ich. Ganz zuunterst in einem verschlossenen Aktenschrank in einem unbenutzen Klo, an dessen Tür stand Vorsicht! Bissiger Leopard!"

Na jedenfalls sah ich dort eine Wiener Festwochen-Aufzeichnung von Bernhards Dramolett-Trilogie Claus Peymann kauft sich eine Hose und geht mit mir essen mit Claus Peymann und Hermann Beil. Dabei habe ich mich so glänzend amüsiert, dass ich beschloss, den Sommer mit Bernhards Opus Magnum Auslöschung zu beschließen, von dem mir versichert wurde, dass es besser zu lesen sei als Frost. Eine gute Entscheidung, denn jetzt bin ich mit Bernhard wieder vollends ausgesöhnt.

Der in Rom lebende Protagonist Franz Josef Murau erfährt, dass seine Eltern und sein Bruder bei einem Unfall ums Leben kamen, was ihn zum Haupterben und Verwalter des Familienanwesens Wolfsegg in seinem Geburtsland Österreich macht. Allerdings ist ihm das nicht besonders angenehm, da er Wolfsegg, Österreich und so ziemlich alles was damit zusammenhängt zutiefst verabscheut. Den ersten Teil des Buches verbringt er am Fenster seiner Arbeitszimmers in Rom stehend und sich zurückerinnernd an die Zeit mit seiner ihm verhassten Familie. Im zweiten Teil kehrt er für das Begräbnis nach Wolfsegg zurück.

Man könnte Bernhard vorwerfen, dass er Murau einfach wahllos alles beschimpfen lässt, das ihm einfällt - so einfach ist die Sache allerdings nicht. Als Leser ist man ständig hin- und hergerissen, immer im Zweifel, was man denn nun von diesem Kerl halten soll. Gerade wenn man sich völlig von ihm mitreissen lässt, relativiert er sich im nächsten Moment schon wieder selbst, indem er sich korrigiert, sich widerspricht oder - was so gut wie immer der Fall ist - dermaßen übertreibt, dass es schon wieder komisch wirkt. Außerdem reflektiert Murau durchaus auch über sich selbst, bezeichnet sich sogar dezidiert als "Übertreibungskünstler". Nicht nur das führt auch dazu, dass man sich immer wieder fragt, wieviel von Bernhard denn nun in diesem Murau steckt - auf den ersten Blick immerhin eine ganze Menge. Vielleicht sollte man darüber gar keine Gedanken machen und die Auslöschung einfach ganz entspannt als ungemein gut geschriebene und vollkommen überzogene Satire auf die österreichische Gesellschaft lesen, die laut Murau ausschließlich aus Katholiken und Nationalsozialisten besteht. Meistens beides in einem.