Sonntag, April 20, 2008

Lost in Beijing


Lost in Beijing, der neue Film der chinesischen Regisseurin Li Yu, hatte es nicht leicht. Mit seiner kritischen Darstellung der chinesischen Hauptstadt und verhältnismäßig expliziten Sexszenen ein Dorn im Auge der Zensur in China, wurde er dort, von Hong Kong abgesehen, nie gezeigt, und selbst bei seiner Premiere im Rahmen der Berlinale 2007 war es lange unklar, ob man nicht vielleicht nur eine stark gekürzte Fassung zu sehen bekommen würde. Dem war zum Glück nicht so, und auch im Wiener Stadtkino gibt es den Film nun in voller Länge zu begutachten.

Die Handlung von Lost in Beijing ist recht einfach aufgebaut. Sie erzählt von zwei Ehepaaren aus verschiedenen sozialen Schichten: Auf der einen Seite haben wir den wohlhabenden Massagesalon-Besitzer Lin Dong (Tony Leung Ka-Fai, übrigens nicht zu verwechseln mit Tony Leung Chiu Wa) und seine unglückliche Frau Wang Mei (Elaine Jin). Im Massagesalon Lin Dongs arbeitet wiederum Liu Pingguo (Fan Bingbing), deren Mann An Kun (Tong Dawei) ein Fensterputzer ist, was den Plot in Gang bringt: Eines Tages putzt er nämlich genau das Fenster hinter dem Lin Dong gerade An Kuns betrunkene Frau vergewaltigt – die noch dazu kurz darauf feststellt, dass sie schwanger ist, ohne zu wissen, ob Lin Dong der Vater ist oder doch ihr Mann. Dessen anfängliche Wut und Verzweiflung verwandeln sich rasch in kalkulierteres Denken, und es kommt zu einer Reihe von Verhandlungen und Geschäften zwischen den beiden potenziellen Vätern, die natürlich am Ende hoffnungslos in sich zusammenbrechen müssen.

Das menschliche Drama ist die eine Seite dieses Films, und bei Licht betrachtet, kommt sie eigentlich recht altmodisch daher. Was nicht schlecht sein muss, funktioniert sie doch dank der sensiblen Charakterzeichnung und der durchgehend überzeugenden Darstellerleistungen durchaus wie sie soll. Richtig interessant wird Lost in Beijing jedoch als Allegorie auf die chinesische Gesellschaft, Untersuchung kapitalistischer Mechanismen und als Portrait der titelgebenden Stadt, die uns zwischendurch immer wieder in impressionistischen Sequenzen zu verschiedenen Tageszeiten gezeigt wird.

In den Sequenzen, in denen die Figuren im Mittelpunkt stehen, fällt hingegen eine geradezu expressionistische Kameraarbeit auf. Als Pingguo betrunken ist, verschwimmt das Bild und schaukelt hin und her; ist eine Figur aufgebracht, scheint auch die Kamera in Rage und zittert, als müsse sie ihre Wut unterdrücken. Zurückhaltend ist die Kamera zumindest nie: Zumeist bietet sie uns extreme Close-Ups neben Panoramaeinstellungen der Stadt, dazu Jump-Cuts, Tracking Shots, das volle Programm.

Zusammenfassend kann man sagen, dass Li Yu mit Lost in Beijing ein Film mit einigen interessanten Ansätzen gelungen ist, der einen guten Kontrast zu den Bildern darstellen dürfte, die uns dieses Jahr wohl noch aus dieser Stadt erwarten.