Achtung: Eventuell kleinere Spoiler.
Zuerst hatte ich mir ja gesagt, ich warte, bis man Grindhouse - das Double Feature, das aus Robert Rodriguez' Planet Terror und Quentin Tarantinos Death Proof besteht - in seiner ursprünglichen Form, also als Double Feature, zu sehen bekommt. Mehrere Punkte haben mich umgestimmt. Zum einen ist es fraglich, ob Grindhouse komplett überhaupt in absehbarer Zeit bei uns gezeigt wird - und DVD geht in diesem Fall auch gar nicht, weil Grindhouse von seinem Konzept her nur im Kino Sinn macht. Rodriguez und Tarantino wollten das Erlebnis eines Abends in einem Schundkino der 70er simulieren, komplett mit gefakten Trailern und absichtlich eingearbeiteten "Projektionsfehlern" und Unreinheiten im Filmmaterial. Ein weiterer Grund is, dass die getrennten Filme nicht die gleichen Versionen sind wie in Grindhouse - beide sind deutlich länger. Tarantino hat es so beschrieben, dass es gewissermaßen drei Filme gibt: Planet Terror, Death Proof und Grindhouse, und dass jeder für sich alleine stehen kann. Natürlich muss er das aus marketingtechnischen Gründen sagen, aber es erscheint mir doch sehr einleuchtend. Der dritte Grund ist, dass ich sowieso nicht einfach dasitzen hätte können, während im Kino um die Ecke der neue Tarantino läuft.
Wenn Death Proof beginnt, ist man sofort mitten in Tarantino-Land. Nach dem "Our Feature Presentation"-Jingle (bekannt aus Kill Bill) und einem Cartoon, der den folgenden Film als "Restricted" kennzeichnet, geht es sofort los: 70er-Surfmusik, gelbe Schrift und nackte Frauenfüße in Großaufnahme. Und vom ersten Augenblick an Zitate, Zitate, Zitate - natürlich auch bezogen auf Tarantino selbst. Big Kahuna Burger und Red Apple-Zigaretten sind Ehrensache, und besonders eine Stelle hat mir gefallen, weil sie wieder mal so schön das Wunder der Postmoderne beschreibt: In Kill Bill hat Tarantino Bernhard Hermanns Twisted Nerve-Thema von 1968 verwendet um eine Brian De Palma-Szene zu untermalen, der wiederum ständig Hitchcock zitiert hat, dessen Hauskomponist Hermann war. Die Folge war, dass das Thema daraufhin schlagartige Popularität vor allem als Handy-Klingelton erlangte. In Death Proof wird das nun weitergesponnen: In einer Szene läutet ein Handy, und natürlich hören wir Twisted Nerve.
Im Mittelpunkt von Death Proof stehen zum einen acht Frauen, denen Tarantino den Großteil den Films überlässt um ausgiebige Dialoge zu führen. Und hier scheiden sich schon die Geister, denn die Dialoge sind diesmal selbst für Tarantino-Verhältnisse wirklich überbordernd und können auch nicht durchgehend mit dem Witz früherer Tarantino-Dialoge mithalten, was nicht heißt, dass sie sich nicht authentisch anfühlen. Jedenfalls fokussiert sich der Film so sehr auf die Frauen-Unterhaltungen, dass Death Proof über weite Strecken wie Tarantinos Version von George Cukors The Women wirkt. Dann haben wir allerdings das Gegenstück, den von Kurt Russell gespielten Stuntman Mike, ein Frauenmörder der besonderen Art. Sein Auto ist ein Stunt-Wagen, mit dem er auch die schlimmsten Crashs überleben kann, und mit dem zermanscht er eben die Autos, in denen die Frauen seiner Begierde sitzen.
Die sich aus dieser Prämisse ergebenen Auto-Actionszenen sind von einer ungeheuren Intensität, vor allem da Tarantino komplett auf CGI verzichtet hat, und sich deshalb alles einfach ungewohnt "echt" und "schmutzig" anfühlt, wie man es aus Filmen wie Bullitt und The French Connection kennt, nur natürlich hier noch um ein vielfaches gesteigert, allein durch die Stunts von Zoe Bell, die in Kill Bill Uma Thurmans Stunt-Double war und hier erstmals eine Hauptrolle spielen darf.
Was der Film ganz sicher nicht ist, ist geschlossen oder ausgewogen. Er besteht aus zwei Hälften - je viel Dialog, gefolgt von Action am Ende - die durch Ort und Zeit voneinander getrennt sind. Dabei zitiert die zweite Hälfte, die erste solange, bis ein Twist am Ende alles umkrempelt; beide Teile sind zugleich Eben- und Spiegelbilder. Aber nicht nur in dieser Hinsicht ist Death Proof durchzogen von Ambivalenzen, Gegensätzen und Widersprüchen, wie dem zwischen entspanntem Dialog und Adrenalin-gepackter Action oder auch zwischen Feminismus und Sexismus. Allesamt sind die weiblichen Figuren selbstbewusst, bestimmend, aktiv und vor allem abgebrüht, hart und gnadenlos. Andererseits könnten die Damen rein äußerlich einem feuchten Männertraum entsprungen sein und dementsprechend weidet sich die von Tarantino erstmals selbst geführte Kamera geradezu unverschämt geil an Ärschen, Titten, Beinen und, ähm, eben Füßen.
Ein ganz besonderes Beispiel dieser Ambivalenz ist Stuntman Mike. Zuerst ziehen Tarantino und Kurt Russell alle denkbaren Register um Mike zu einem der coolsten Filmcharaktere aufzubauen, die die Welt je gesehen hat, was bei einem schlechteren Regisseur/Drehbuchautor/Schauspieler möglicherweise gezwungen gewirkt hätte, hier aber geradezu atemberaubend funktioniert (Einer der größten Momente des Films ist es, wenn Mike einmal kurz bevor er in sein Auto steigt vielsagend in die Kamera lächelt). Und als sie damit fertig sind, reißen sie sie Sandburg wieder ein und dekonstruieren Mike, bis er ein feiges, erbärmliches Geschöpf ist, das einem direkt Leid tut.
Am Ende des Films ist man überwältigt, aber auch zwiegespalten. Vor allem beginnt man über den größten Widerspruch des Films überhaupt zu reflektieren: Death Proof ist zwar irgendwie dumm, primitiv und sinnlos - aber gleichzeitig unglaublich intelligent, raffiniert und poetisch.
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